Letztes Jahr ging ich auf meine erste Lesereise. In 13 Monaten bereiste ich 14 Länder und hielt über 100 Vorträge. Jede Lesung in jedem Land begann mit einer Einführung und jede Einführung begann leider mit einer Lüge: "Taiye Selasi kommt aus Ghana und Nigeria", oder "Taiye Selasi kommt aus England und den Staaten." Immer wenn ich diesen einleitenden Satz hörte, egal welches Land genannt wurde -- England, USA, Ghana, Nigeria -- dachte ich: "Aber das ist nicht wahr." Ja, ich bin in England geboren und in den USA aufgewachsen. Meine Mutter, in England geboren und in Nigeria aufgewachsen, lebt derzeit in Ghana. Mein Vater wurde an der Goldküste, einer britischen Kolonie, geboren, wuchs in Ghana auf und lebte über 30 Jahre im Königreich Saudi-Arabien. Aus diesem Grund wurde ich auch als "multinational" vorgestellt. "Aber Nike ist multinational", dachte ich, "ich bin ein menschliches Wesen."
Last year, I went on my first book tour. In 13 months, I flew to 14 countries and gave some hundred talks. Every talk in every country began with an introduction, and every introduction began, alas, with a lie: "Taiye Selasi comes from Ghana and Nigeria," or "Taiye Selasi comes from England and the States." Whenever I heard this opening sentence, no matter the country that concluded it -- England, America, Ghana, Nigeria -- I thought, "But that's not true." Yes, I was born in England and grew up in the United States. My mum, born in England, and raised in Nigeria, currently lives in Ghana. My father was born in Gold Coast, a British colony, raised in Ghana, and has lived for over 30 years in the Kingdom of Saudi Arabia. For this reason, my introducers also called me "multinational." "But Nike is multinational," I thought, "I'm a human being."
Eines Tages, mitten auf der Reise, besuchte ich Louisiana, ein Museum in Dänemark, wo ich die Bühne mit dem Autor Colum McCann teilte. Wir sprachen über die Rolle von Lokalität beim Schreiben, als mir plötzlich klar wurde: Ich bin nicht multinational. Ich gehöre keiner Nation an. Wie könnte ich einer Nation angehören? Wie kann ein Mensch einem Konzept entstammen? Diese Frage hatte mich seit zwei Jahrzehnten beschäftigt. Aus Zeitungen, Lehrbüchern, Unterhaltungen hatte ich gelernt, von Ländern zu sprechen, als wären sie ewige, einzigartige und natürlich vorkommende Dinge, aber ich fragte mich, ob die Aussage, ich käme aus einem Land, nahelegt, das Land wäre etwas Absolutes, ein fester Punkt in Raum und Zeit, eine Konstante -- aber ist es das? Zu meinen Lebzeiten sind Länder verschwunden -- Tschechoslowakei; aufgetaucht -- Osttimor; gescheitert -- Somalia. Meine Eltern kamen aus Ländern, die bei ihrer Geburt nicht existierten. Für mich war ein Land -- ein Ding, das entstehen, sich erweitern, schrumpfen kann -- kaum die Basis, um einen Menschen zu verstehen.
Then, one fine day, mid-tour, I went to Louisiana, a museum in Denmark where I shared the stage with the writer Colum McCann. We were discussing the role of locality in writing, when suddenly it hit me. I'm not multinational. I'm not a national at all. How could I come from a nation? How can a human being come from a concept? It's a question that had been bothering me for going on two decades. From newspapers, textbooks, conversations, I had learned to speak of countries as if they were eternal, singular, naturally occurring things, but I wondered: to say that I came from a country suggested that the country was an absolute, some fixed point in place in time, a constant thing, but was it? In my lifetime, countries had disappeared -- Czechoslovakia; appeared -- Timor-Leste; failed -- Somalia. My parents came from countries that didn't exist when they were born. To me, a country -- this thing that could be born, die, expand, contract -- hardly seemed the basis for understanding a human being.
Daher war die Entdeckung des souveränen Staates eine enorme Erleichterung. Was wir Länder nennen, sind im Grunde Ausformungen souveräner Staatlichkeit, ein Konzept, das erst vor 400 Jahren in Mode kam. Als ich das zu Beginn meines Studiums in Internationalen Beziehungen lernte, fühlte ich eine Art Welle der Erleichterung. Meine Ahnung wurde bestätigt. Die Geschichte war real, Kulturen waren real, aber Länder waren erfunden. In den folgenden 10 Jahren versuchte ich, mich neu zu definieren oder zu "entdefinieren", meine Welt, meine Arbeit, meine Erfahrung, jenseits der Staatslogik.
And so it came as a huge relief to discover the sovereign state. What we call countries are actually various expressions of sovereign statehood, an idea that came into fashion only 400 years ago. When I learned this, beginning my masters degree in international relations, I felt a sort of surge of relief. It was as I had suspected. History was real, cultures were real, but countries were invented. For the next 10 years, I sought to re- or un-define myself, my world, my work, my experience, beyond the logic of the state.
2005 schrieb ich den Essay "Was ist ein Afropolit" und entwarf eine Identität, die Kultur über ein Land stellte. Es war aufregend, wie viele Leute meine Erfahrung nachvollziehen konnten, und lehrreich, wie viele andere mir mein Selbstgefühl nicht glaubten. "Wie kann Selasi behaupten, aus Ghana zu sein", fragte eine Kritikerin, "wenn sie noch nie erlebt hat, wie demütigend es ist, mit einem ghanaischen Pass ins Ausland zu reisen?"
In 2005, I wrote an essay, "What is an Afropolitan," sketching out an identity that privileged culture over country. It was thrilling how many people could relate to my experience, and instructional how many others didn't buy my sense of self. "How can Selasi claim to come from Ghana," one such critic asked, "when she's never known the indignities of traveling abroad on a Ghanian passport?"
Wenn ich ehrlich bin, wusste ich genau, was sie meinte. Meine Freundin Layla ist in Ghana geboren und aufgewachsen. Ihre Eltern sind Ghanaer libanesicher Abstammung in dritter Generation. Layla spricht fließend Twi und kennt Accra wie ihre Westentasche, aber als ich sie vor Jahren kennenlernte, dachte ich: "Sie ist nicht aus Ghana." Für mich kam sie aus dem Libanon, obwohl sie ganz offensichtlich all ihre prägenden Erfahrungen in einer Vorstadt Accras gemacht hatte. Wie meine Kritiker stellte ich mir ein Ghana vor, in dem alle Ghanaer braune Haut hatten oder keinen britischen Pass besaßen. Ich war in die begrenzende Falle der Formulierung "aus einem Land stammen" getappt -- das Privilegieren einer Fiktion -- ein einzelnes Land -- über die Realität -- der menschlichen Erfahrung. Im Gespräch mit Colum McCann an jenem Tag fiel endlich der Groschen. "Alle Erfahrung ist lokal," sagte er. "Jede Identität ist Erfahrung", dachte ich. "Ich gehöre keiner Nation an", verkündete ich auf der Bühne. "Ich bin einem und zugleich vielen Orten verbunden."
Now, if I'm honest, I knew just what she meant. I've got a friend named Layla who was born and raised in Ghana. Her parents are third-generation Ghanians of Lebanese descent. Layla, who speaks fluent Twi, knows Accra like the back of her hand, but when we first met years ago, I thought, "She's not from Ghana." In my mind, she came from Lebanon, despite the patent fact that all her formative experience took place in suburban Accra. I, like my critics, was imagining some Ghana where all Ghanaians had brown skin or none held U.K. passports. I'd fallen into the limiting trap that the language of coming from countries sets -- the privileging of a fiction, the singular country, over reality: human experience. Speaking with Colum McCann that day, the penny finally dropped. "All experience is local," he said. "All identity is experience," I thought. "I'm not a national," I proclaimed onstage. "I'm a local. I'm multi-local."
"Taiye Selasi ist aus den USA", stimmt nicht. Ich habe keinen Bezug zu den Vereinigten Staaten, zu keinem der 50 wirklich. Meine Beziehung besteht zu Brookline, der Stadt, in der ich aufwuchs; mit New York City, wo ich zu arbeiten begann; mit Lawrenceville, wo ich Thanksgiving verbrachte. Was die USA für mich zum Zuhause macht, ist weder mein Pass noch mein Akzent, sondern die ganz besonderen Erfahrungen und die Orte, an denen ich sie machte. Trotz meines Stolzes auf die Kultur der Ewe, auf die Black Stars und meine Liebe zum ghanaischen Essen hatte ich nie einen klaren Bezug zur Republik Ghana. Meine Beziehung besteht zu Accra, wo meine Mutter lebt, wo ich jedes Jahr hinfahre, mit dem kleinen Garten in Dzorwulu, wo mein Vater und ich stundenlang reden. Diese Orte formen meine Erfahrung. Meine Erfahrung bestimmt meine Herkunft.
See, "Taiye Selasi comes from the United States," isn't the truth. I have no relationship with the United States, all 50 of them, not really. My relationship is with Brookline, the town where I grew up; with New York City, where I started work; with Lawrenceville, where I spend Thanksgiving. What makes America home for me is not my passport or accent, but these very particular experiences and the places they occur. Despite my pride in Ewe culture, the Black Stars, and my love of Ghanaian food, I've never had a relationship with the Republic of Ghana, writ large. My relationship is with Accra, where my mother lives, where I go each year, with the little garden in Dzorwulu where my father and I talk for hours. These are the places that shape my experience. My experience is where I'm from.
Was wäre, wenn wir statt "Wo sind Sie her?" fragen würden: "Welchen Orten fühlen Sie sich verbunden?" Das würde uns viel mehr darüber sagen, wer wir sind und wie ähnlich wir uns sind. Sie sagen mir, Sie sind aus Frankreich, und was sehe ich, eine Reihe Klischees? Adichies gefährliche einzige Geschichte: der Mythos der französischen Nation? Sagen Sie mir, Sie sind Fez und Paris verbunden, oder besser, Goutte d'Or, und ich sehe zahlreiche Erfahrungen. Unsere Erfahrung bestimmt, woher wir sind.
What if we asked, instead of "Where are you from?" -- "Where are you a local?" This would tell us so much more about who and how similar we are. Tell me you're from France, and I see what, a set of clichés? Adichie's dangerous single story, the myth of the nation of France? Tell me you're a local of Fez and Paris, better yet, Goutte d'Or, and I see a set of experiences. Our experience is where we're from.
Welchen Orten sind Sie also verbunden? Ich schlage einen dreistufigen Test vor. Ich nenne ihn "die drei Rs": Rituale, Relationen [Beziehungen], Restriktionen.
So, where are you a local? I propose a three-step test. I call these the three "R’s": rituals, relationships, restrictions.
Denken Sie zuerst an Ihre täglichen Rituale, welche das auch sind: Kaffee machen, zur Arbeit fahren, Pflanzen ernten, Gebete sprechen. Welche Arten von Ritual sind das? Wo finden sie statt? In welcher Stadt oder welchen Städten der Welt kennen Ladenbesitzer Ihr Gesicht? Als Kind verrichtete ich ziemlich gängige Vorstadt-Rituale in Boston, mit Änderungen für die Rituale, die meine Mutter aus London und Lagos mitbrachte. Wir zogen im Haus die Schuhe aus, wir waren Älteren gegenüber stets höflich, wir aßen langsam gegartes, scharfes Essen. Im verschneiten Nordamerika waren unsere Rituale aus dem globalen Süden. Bei meinem ersten Besuch in Delhi oder in Süditalien war ich schockiert, wie sehr ich mich zu Hause fühlte. Die Rituale waren vertraut. "R" Nummer eins: Rituale.
First, think of your daily rituals, whatever they may be: making your coffee, driving to work, harvesting your crops, saying your prayers. What kind of rituals are these? Where do they occur? In what city or cities in the world do shopkeepers know your face? As a child, I carried out fairly standard suburban rituals in Boston, with adjustments made for the rituals my mother brought from London and Lagos. We took off our shoes in the house, we were unfailingly polite with our elders, we ate slow-cooked, spicy food. In snowy North America, ours were rituals of the global South. The first time I went to Delhi or to southern parts of Italy, I was shocked by how at home I felt. The rituals were familiar. "R" number one, rituals.
Denken Sie jetzt an Beziehungen ... Menschen, die Ihren Alltag bestimmen. Mit wem sprechen Sie mindestens einmal pro Woche, entweder persönlich oder über FaceTime? Schätzen Sie es realistisch ein; ich spreche nicht von Facebook-Freunden. Ich spreche von Leuten, die Ihr wöchentliches emotionales Erleben formen. Meine Mutter in Accra, meine Zwillingsschwester in Boston, meine besten Freunde in New York: Diese Beziehungen sind Heimat für mich. "R" Nummer zwei, Relationen [Beziehungen].
Now, think of your relationships, of the people who shape your days. To whom do you speak at least once a week, be it face to face or on FaceTime? Be reasonable in your assessment; I'm not talking about your Facebook friends. I'm speaking of the people who shape your weekly emotional experience. My mother in Accra, my twin sister in Boston, my best friends in New York: these relationships are home for me. "R" number two, relationships.
Wir fühlen uns den Orten verbunden, wo wir unsere Rituale und Beziehungen leben. Aber wie wir uns an diesen Orten fühlen, hängt teilweise von unseren Einschränkungen ab. Mit Einschränkungen meine ich: Wo kann man leben? Welchen Pass besitzen Sie? Hält Sie an Ihrem Wohnort z. B. Rassismus davon ab, sich ganz zu Hause zu fühlen? Oder hält Bürgerkrieg, eine schlecht funktionierende Regierung, Inflation Sie davon ab, dort zu leben, wo Sie die Rituale Ihrer Kindheit erlebten? Dieses R ist am wenigsten sexy, weniger poetisch als Rituale und Beziehungen, aber die Frage führt über "Wo sind Sie jetzt?" hinaus zu "Warum sind Sie nicht dort?". Rituale, Beziehungen und Restriktionen.
We're local where we carry out our rituals and relationships, but how we experience our locality depends in part on our restrictions. By restrictions, I mean, where are you able to live? What passport do you hold? Are you restricted by, say, racism, from feeling fully at home where you live? By civil war, dysfunctional governance, economic inflation, from living in the locality where you had your rituals as a child? This is the least sexy of the R’s, less lyric than rituals and relationships, but the question takes us past "Where are you now?" to "Why aren't you there, and why?" Rituals, relationships, restrictions.
Nehmen Sie ein Blatt Papier, verwenden Sie die 3 Wörter als Spaltenüberschriften und füllen Sie dann diese Spalten so ehrlich wie möglich aus. Ein ganz anderes Bild von Ihrem Leben im lokalen Kontext, von Ihrer Identität als eine Reihe von Erfahrungen, könnte sich ergeben.
Take a piece of paper and put those three words on top of three columns, then try to fill those columns as honestly as you can. A very different picture of your life in local context, of your identity as a set of experiences, may emerge.
Versuchen wir es. Ich habe einen Freund namens Olu. Er ist 35 Jahre alt. Seine Eltern, in Nigeria geboren, kamen durch Stipendien nach Deutschland. Olu wurde in Nürnberg geboren und lebte dort bis zu seinem 10. Lebensjahr. Als seine Familie nach Lagos zog, studierte er in London und kam dann nach Berlin. Er reist gerne nach Nigeria -- mag das Wetter, das Essen, die Freunde -- aber er hasst die dortige politische Korruption. Woher stammt Olu?
So let's try it. I have a friend named Olu. He's 35 years old. His parents, born in Nigeria, came to Germany on scholarships. Olu was born in Nuremberg and lived there until age 10. When his family moved to Lagos, he studied in London, then came to Berlin. He loves going to Nigeria -- the weather, the food, the friends -- but hates the political corruption there. Where is Olu from?
Ein anderer Freund von mir heißt Udo. Er ist auch 35 Jahre alt. Udo wurde in Córdoba geboren, im Nordwesten Argentiniens, wo seine Großeltern aus einem Teil Deutschlands einwanderten, der jetzt zu Polen gehört. Udo studierte in Buenos Aires und kam vor 9 Jahren nach Berlin. Er reist gerne nach Argentinien -- mag das Wetter, das Essen, die Freunde -- aber er hasst die dortige Korruption in der Wirtschaft. Woher stammt Udo? Mit seinem blonden Haar und seinen blauen Augen könnte Udo Deutscher sein, aber er hat einen argentinischen Pass und braucht ein Visum, um in Berlin zu leben. Dass Udo aus Argentinien stammt, hat vor allem mit der Geschichte zu tun. Dass er mit Buenos Aires und Berlin verbunden ist, hat mit seinem Leben zu tun.
I have another friend named Udo. He's also 35 years old. Udo was born in Córdoba, in northwest Argentina, where his grandparents migrated from Germany, what is now Poland, after the war. Udo studied in Buenos Aires, and nine years ago came to Berlin. He loves going to Argentina -- the weather, the food, the friends -- but hates the economic corruption there. Where is Udo from? With his blonde hair and blue eyes, Udo could pass for German, but holds an Argentinian passport, so needs a visa to live in Berlin. That Udo is from Argentina has largely to do with history. That he's a local of Buenos Aires and Berlin, that has to do with life.
Olu sieht wie ein Nigerianer aus und braucht ein Visum, um Nigeria zu besuchen. Er spricht Yoruba mit einem englischen Akzent, und Englisch mit einem deutschen. Zu behaupten, er wäre "kein echter Nigerianer", leugnet aber seine Erfahrung in Lagos, die Rituale, die er in der Kindheit eingeübt hat, seine Beziehungen zu Familie und Freunden.
Olu, who looks Nigerian, needs a visa to visit Nigeria. He speaks Yoruba with an English accent, and English with a German one. To claim that he's "not really Nigerian," though, denies his experience in Lagos, the rituals he practiced growing up, his relationship with family and friends.
Obwohl Lagos eines seiner Zuhause ist, fühlt sich Olu dort immer eingeschränkt, nicht zuletzt, weil er schwul ist.
Meanwhile, though Lagos is undoubtedly one of his homes, Olu always feels restricted there, not least by the fact that he's gay.
Sowohl er als auch Udo werden durch die politischen Verhältnisse der Länder ihrer Eltern gehindert, dort zu leben, wo einige ihrer bedeutendsten Rituale und Beziehungen stattfinden. Zu sagen, Olu sei aus Nigeria und Udo aus Argentinien, lenkt von ihrer gemeinsamen Erfahrung ab. Ihre Rituale, Beziehungen und Restriktionen sind dieselben.
Both he and Udo are restricted by the political conditions of their parents' countries, from living where some of their most meaningful rituals and relationships occur. To say Olu is from Nigeria and Udo is from Argentina distracts from their common experience. Their rituals, their relationships, and their restrictions are the same.
Wenn wir fragen: "Woher sind Sie?", nutzen wir natürlich eine Abkürzung. Es ist einfacher "Nigeria" zu sagen, als "Lagos und Berlin", und mit Google Maps können wir immer reinzoomen, von einem Land zu einer Stadt zu einem Viertel. Aber das ist nicht der Punkt. Der Unterschied zwischen "Woher sind Sie?" und "Mit welchen Orten sind Sie verbunden?" liegt nicht in der Exaktheit der Antwort; es geht um die Absicht der Frage. Die Sprache der Nationalität durch die der Lokalität zu ersetzen, bringt uns dazu, unseren Blick darauf zu richten, wo das wirkliche Leben stattfindet. Sogar beim glorreichsten Ausdruck von Nationszugehörigkeit, dem Weltcup, haben wir Nationalmannschaften aus multi-lokalen Spielern. Als Maßeinheit für menschliche Erfahrung funktioniert ein "Land" nicht richtig. Deshalb sagt Olu: "Ich bin Deutscher, aber meine Eltern kommen aus Nigeria." Das "aber" in dem Satz entlarvt die Starrheit dieser Einheit, eine fixierte und erfundene Einheit stößt auf eine andere. "Ich bin Lagos und Berlin verbunden", deutet sich überlagernde Erfahrungen an, verschmelzende Schichten, die nicht geleugnet oder entfernt werden können. Man kann mir meinen Pass nehmen, aber nicht meine Erfahrung. Die trage ich in mir. Ich stamme daher, wo immer ich hingehe.
Of course, when we ask, "Where are you from?" we're using a kind of shorthand. It's quicker to say "Nigeria" than "Lagos and Berlin," and as with Google Maps, we can always zoom in closer, from country to city to neighborhood. But that's not quite the point. The difference between "Where are you from?" and "Where are you a local?" isn't the specificity of the answer; it's the intention of the question. Replacing the language of nationality with the language of locality asks us to shift our focus to where real life occurs. Even that most glorious expression of countryhood, the World Cup, gives us national teams comprised mostly of multilocal players. As a unit of measurement for human experience, the country doesn't quite work. That's why Olu says, "I'm German, but my parents come from Nigeria." The "but" in that sentence belies the inflexibility of the units, one fixed and fictional entity bumping up against another. "I'm a local of Lagos and Berlin," suggests overlapping experiences, layers that merge together, that can't be denied or removed. You can take away my passport, but you can't take away my experience. That I carry within me. Where I'm from comes wherever I go.
Um es deutlich zu sagen, ich sage nicht, dass wir Länder abschaffen sollten. Vieles spricht für die Nationalgeschichte, noch mehr für souveräne Staaten. Kultur existiert in Gemeinschaften und Gemeinschaft im Kontext. Geografie, Tradition, kollektives Gedächtnis: diese Dinge sind wichtig. Ich stelle die Vorrangstellung in Frage. All die Vorstellungen auf meiner Tour begannen mit dem Bezug zu einer Nation, als würde das Wissen, aus welchem Land ich komme, dem Publikum sagen, wer ich bin. Wonach suchen wir wirklich, wenn wir jemanden fragen, woher er kommt? Was sehen wir eigentlich, wenn wir die Antwort hören?
To be clear, I'm not suggesting that we do away with countries. There's much to be said for national history, more for the sovereign state. Culture exists in community, and community exists in context. Geography, tradition, collective memory: these things are important. What I'm questioning is primacy. All of those introductions on tour began with reference to nation, as if knowing what country I came from would tell my audience who I was. What are we really seeking, though, when we ask where someone comes from? And what are we really seeing when we hear an answer?
Hier ist ein Vorschlag: Im Grunde stellen Länder Macht dar. "Woher sind Sie?" Mexiko, Polen, Bangladesch -- weniger Macht. USA, Deutschland, Japan -- mehr Macht. China, Russland -- nicht eindeutig.
Here's one possibility: basically, countries represent power. "Where are you from?" Mexico. Poland. Bangladesh. Less power. America. Germany. Japan. More power. China. Russia. Ambiguous.
(Gelächter)
(Laughter)
Möglicherweise spielen wir unbewusst ein Machtspiel, besonders im Kontext von Vielvölkerstaaten. Wie jeder kürzlich Immigrierte weiß, ist die Frage "Woher sind Sie?" oder "Woher kommen Sie wirklich?" ein Code für "Warum sind Sie hier?".
It's possible that without realizing it, we're playing a power game, especially in the context of multi-ethnic countries. As any recent immigrant knows, the question "Where are you from?" or "Where are you really from?" is often code for "Why are you here?"
Dann gibt es die Schriften des Gelehrten William Deresiewicz über amerikanische Elite-Colleges. "Studenten denken, dass in ihrem Umfeld Vielfalt herrscht, wenn einer aus Missouri und ein anderer aus Pakistan kommt -- auch wenn alle ihre Eltern Ärzte oder Banker sind."
Then we have the scholar William Deresiewicz's writing of elite American colleges. "Students think that their environment is diverse if one comes from Missouri and another from Pakistan -- never mind that all of their parents are doctors or bankers."
Ich stimme ihm zu. Einen Studenten Amerikaner und einen anderen Pakistaner zu nennen, um von einer vielfältigen Studentenschaft zu reden, verkennt die Tatsache, dass die Studenten alle aus demselben Milieu stammen. Gleiches trifft auf das andere Ende des wirtschaftlichen Spektrums zu. Ein mexikanischer Gärtner in L.A. und eine nepalesische Haushälterin in Delhi haben hinsichtlich der Rituale und Restriktionen mehr gemeinsam, als die Nationalität andeutet.
I'm with him. To call one student American, another Pakistani, then triumphantly claim student body diversity ignores the fact that these students are locals of the same milieu. The same holds true on the other end of the economic spectrum. A Mexican gardener in Los Angeles and a Nepali housekeeper in Delhi have more in common in terms of rituals and restrictions than nationality implies.
Mein größtes Problem damit, aus Ländern zu stammen, ist die Vorstellung einer "Rückkehr". Ich werde oft gefragt, ob ich vorhabe nach Ghana "zurückzukehren". Ich reise jedes Jahr nach Accra, aber ich kann nicht nach Ghana "zurückgehen". Nicht, weil ich dort nicht geboren wurde. Mein Vater kann auch nicht zurück. Das Land, in dem er geboren wurde, existiert nicht mehr. Wir können nie an einen Ort zurückgehen und ihn unverändert vorfinden. Irgendwo wird sich immer irgendetwas ändern, vor allem wir selbst. Menschen.
Perhaps my biggest problem with coming from countries is the myth of going back to them. I'm often asked if I plan to "go back" to Ghana. I go to Accra every year, but I can't "go back" to Ghana. It's not because I wasn't born there. My father can't go back, either. The country in which he was born, that country no longer exists. We can never go back to a place and find it exactly where we left it. Something, somewhere will always have changed, most of all, ourselves. People.
Schließlich sprechen wir über die menschliche Erfahrung, eine berühmt-berüchtigte, ungeordnete Angelegenheit. Beim kreativen Schreiben verrät Lokalität Menschlichkeit. Je mehr wir über den Ort des Geschehens wissen, seine Eigenheiten und Beschaffenheit, umso menschlicher fühlen sich die Figuren an und man hat mehr Bezug zu ihnen. Der Irrglaube an eine nationale Identität und dessen Vokabular bringt uns dazu, uns in widersprüchliche Kategorien einzuordnen. Tatsächlich sind wir alle multi -- multi-lokal und vielschichtig. Unsere Unterhaltungen mit der Anerkennung dieser Komplexität zu beginnen, bringt uns näher zusammen, nicht weiter auseinander. Wenn ich das nächste Mal vorgestellt werde, würde ich gerne die Wahrheit hören:
Finally, what we're talking about is human experience, this notoriously and gloriously disorderly affair. In creative writing, locality bespeaks humanity. The more we know about where a story is set, the more local color and texture, the more human the characters start to feel, the more relatable, not less. The myth of national identity and the vocabulary of coming from confuses us into placing ourselves into mutually exclusive categories. In fact, all of us are multi -- multi-local, multi-layered. To begin our conversations with an acknowledgement of this complexity brings us closer together, I think, not further apart. So the next time that I'm introduced, I'd love to hear the truth:
"Taiye Selasie ist ein Mensch, wie jeder hier. Sie ist keine Weltbürgerin, sondern eine Bürgerin von Welten. Sie ist in New York, Rom und Accra zu Hause."
"Taiye Selasi is a human being, like everybody here. She isn't a citizen of the world, but a citizen of worlds. She is a local of New York, Rome and Accra."
Danke.
Thank you.
(Applaus)
(Applause)