Normalerweise halte ich Kurse darüber, wie man nach einem Krieg den Staat wieder neu aufbaut. Heute aber möchte ich Ihnen eine ganz persönliche Geschichte erzählen. Dies hier ist ein Foto aus dem Jahre 1977 von meiner Familie: meine vier Geschwister, meine Mutter und ich. Eigentlich sind wir ja aus Kambodscha. Aber dieses Foto wurde in Vietnam gemacht. Wie aber kam es, dass sich eine kambodschanische Familie 1977 in Vietnam wiederfand? Um das zu erklären, habe ich einen kurzen Videofilm mitgebracht, der uns über das Regime der Roten Khmer zwischen 1975 und 1979 informiert.
I normally teach courses on how to rebuild states after war. But today I've got a personal story to share with you. This is a picture of my family, my four siblings -- my mom and I -- taken in 1977. And we're actually Cambodians. And this picture is taken in Vietnam. So how did a Cambodian family end up in Vietnam in 1977? Well to explain that, I've got a short video clip to explain the Khmer Rouge regime during 1975 and 1979.
(Video:) 17. April 1975. Die kommunistischen Roten Khmer marschieren in Phnom Penh ein, um ihre Leute vor dem beginnenden Konflikt in Vietnam und den amerikanischen Bombenangriffen zu retten. Angeführt vom Bauernsohn Pol Pot, evakuieren die Roten Khmer die Leute aufs Land, um ein kommunistisches Utopia aufzubauen, das große Ähnlichkeit mit Mao Tse-tungs Kulturrevolution in China hat. Die Roten Khmer schotten sich von der Außenwelt ab. Trotzdem sickert nach vier Jahren die grausige Wahrheit durch: In einem Land von nur 7 Millionen Einwohnern wurden 1,5 Millionen von ihren eigenen Führern ermordet und ihre Leichen in den Massengräbern der "Killing Fields" aufgetürmt.
Video: April 17th, 1975. The communist Khmer Rouge enters Phnom Penh to liberate their people from the encroaching conflict in Vietnam, and American bombing campaigns. Led by peasant-born Pol Pot, the Khmer Rouge evacuates people to the countryside in order to create a rural communist utopia, much like Mao Tse-tung's Cultural Revolution in China. The Khmer Rouge closes the doors to the outside world. But after four years the grim truth seeps out. In a country of only seven million people, one and a half million were murdered by their own leaders, their bodies piled in the mass graves of the killing fields.
(Sophal Ear:) Trotz anderslautender Berichte aus den 1970er Jahren lebten wir also am 17. April 1975 in Phnom Penh. Und meine Eltern wurden von den Roten Khmer aufgefordert, die Stadt wegen der drohenden dreitägigen amerikanischen Bombardierung zu verlassen. Hier ist ein Foto von den Roten Khmer. Es waren junge Soldaten. Normalerweise Kindersoldaten. Das ist bei heutigen modernen Konflikten ganz normal. Denn Kinder lassen sich sehr leicht in den Krieg schicken.
Sophal Ear: So, notwithstanding the 1970s narration, on April 17th 1975 we lived in Phnom Penh. And my parents were told by the Khmer Rouge to evacuate the city because of impending American bombing for three days. And here is a picture of the Khmer Rouge. They were young soldiers, typically child soldiers. And this is very normal now, of modern day conflict, because they're easy to bring into wars.
Die Erklärungen, die sie über die amerikanische Bombardierung verbreiteten, war auch gar nicht so weit hergeholt. Immerhin fiel von 1965 bis 1973 mehr Munition auf Kambodscha als im gesamten Zweiten Weltkrieg auf Japan, einschließlich der beiden Atombomben vom August 1945. Die Roten Khmer hielten nichts vom Geld. Also wurde das Gegenstück zur amerikanischen Landeszentralbank in Kambodscha bombardiert. Aber nicht nur das, sie verbannten das Geld überhaupt. Ich glaube, das war der einzige Fall weltweit, in dem jemals der Gebrauch von Geld verboten wurde. Nun wissen wir zwar, dass Geld die Quelle allen Übels ist, in Kambodscha aber hat es das Übel beileibe nicht verhindert.
The reason that they gave about American bombing wasn't all that far off. I mean, from 1965 to 1973 there were more munitions that fell on Cambodia than in all of World War II Japan, including the two nuclear bombs of August 1945. The Khmer Rouge didn't believe in money. So the equivalent of the Federal Reserve Bank in Cambodia was bombed. But not just that, they actually banned money. I think it's the only precedent in which money has ever been stopped from being used. And we know money is the root of all evil, but it didn't actually stop evil from happening in Cambodia, in fact.
Meine Familie wurde von Phnom Penh nach Pursat umgesiedelt. So wie auf diesem Bild sieht Pursat aus. Es ist eigentlich eine sehr schöne Gegend Kambodschas, wo Reis angepflanzt wird. Und so wurden sie auch gezwungen, in den Reisfeldern zu arbeiten, das heißt mein Vater und und meine Mutter landeten schließlich in einer Art Konzentrations- und Arbeitslager.
My family was moved from Phnom Penh to Pursat province. This is a picture of what Pursat looks like. It's actually a very pretty area of Cambodia, where rice growing takes place. And in fact they were forced to work the fields. So my father and mother ended up in a sort of concentration camp, labor camp.
Ungefähr zum gleichen Zeitpunkt hörte meine Mutter vom Vorsitzenden der Kommune, dass die Vietnamesen ihre Bürger aufforderten, nach Vietnam zurückzukehren. Sie konnte etwas Vietnamesisch, weil sie als Kind mit vietnamesischen Freunden aufgewachsen war. Und so beschloss sie, gegen den Rat ihrer Nachbarn, dass sie die Gelegenheit nutzen und behaupten wollte, Vietnamesin zu sein, sodass wir eine Chance zum Überleben hätten. Denn zu jener Zeit zwangen sie jeden zu arbeiten. Und sie verteilten - heute würde man das wohl eine kalorienreduzierte Diät nennen - sie verteilten Haferbrei, mit ein paar Körnern Reis darin.
And it was at that time that my mother got word from the commune chief that the Vietnamese were actually asking for their citizens to go back to Vietnam. And she spoke some Vietnamese, as a child having grown up with Vietnamese friends. And she decided, despite the advice of her neighbors, that she would take the chance and claim to be Vietnamese so that we could have a chance to survive, because at this point they're forcing everybody to work. And they're giving about -- in a modern-day, caloric-restriction diet, I guess -- they're giving porridge, with a few grains of rice.
Genau zu dieser Zeit wurde mein Vater sehr krank. Er sprach kein Vietnamesisch. Im Januar 1976 starb er dann auch. Und das machte es für uns tatsächlich möglich, jenen Plan in Angriff zu nehmen. Also brachten uns die Roten Khmer von Pursat nach Koh Tiev, das gleich auf der anderen Seite der vietnamesischen Grenze liegt. Dort hatten sie ein Auffanglager, wo angebliche Vietnamesen auf ihre Sprache hin getestet wurden.
And at about this time actually my father got very sick. And he didn't speak Vietnamese. So he died actually, in January 1976. And it made it possible, in fact, for us to take on this plan. So the Khmer Rouge took us from a place called Pursat to Kaoh Tiev, which is across from the border from Vietnam. And there they had a detention camp where alleged Vietnamese would be tested, language tested.
Das Vietnamesisch meiner Mutter war aber so schlecht, dass sie, um unsere Geschichte glaubwürdiger zu machen, allen Jungen und Mädchen neue vietnamesische Namen gegeben hatte. Nur dass sie den Jungen Mädchennamen und den Mädchen Jungennamen gegeben hatte. Und erst als sie eine vietnamesische Dame traf, die ihr das sagte und sie zwei Tage lang intensiv mit ihr trainierte, war sie in der Lage, an dieser Prüfung teilzunehmen, die Stunde der Wahrheit war gekommen. Wenn sie versagte, wären wir alle reif für den Galgen. Bestand sie jedoch, könnten wir nach Vietnam gehen. Und tatsächlich - logisch, denn schließlich bin ich ja hier - bestand sie und wir landeten in Hong Ngu auf der vietnamesischen Seite. Von dort ging es nach Chau Doc. Dies ist ein Foto vom heutigen Hong Ngu, ein hübscher, idyllischer Ort am Mekong-Delta. Für uns bedeutete er die Freiheit. Freiheit von der Verfolgung durch die Roten Khmer.
And my mother's Vietnamese was so bad that to make our story more credible, she'd given all the boys and girls new Vietnamese names. But she'd given the boys girls' names, and the girls boys' names. And it wasn't until she met a Vietnamese lady who told her this, and then tutored her for two days intensively, that she was able to go into her exam and -- you know, this was a moment of truth. If she fails, we're all headed to the gallows; if she passes, we can leave to Vietnam. And she actually, of course -- I'm here, she passes. And we end up in Hong Ngu on the Vietnamese side. And then onwards to Chau Doc. And this is a picture of Hong Ngu, Vietnam today. A pretty idyllic place on the Mekong Delta. But for us it meant freedom. And freedom from persecution from the Khmer Rouge.
Im letzten Jahr begann das Rote-Khmer-Tribunal, das die UN Kambodscha durchzuführen hilft, und ich beschloss zu Dokumentationszwecken eine Zivilklage über den Tod meines Vaters bei diesem Tribunal einzureichen. Im vergangenen Monat erhielt ich die Nachricht, dass die Klage offiziell vom Tribunal akzeptiert worden ist. Für mich ist das eine Frage der historischen Gerechtigkeit und zukünftigen Verantwortlichkeit, denn Kambodscha bleibt zum Teil ein ziemlich rechtloses Gebiet.
Last year, the Khmer Rouge Tribunal, which the U.N. is helping Cambodia take on, started, and I decided that as a matter of record I should file a Civil Complaint with the Tribunal about my father's passing away. And I got word last month that the complaint was officially accepted by the Khmer Rouge Tribunal. And it's for me a matter of justice for history, and accountability for the future, because Cambodia remains a pretty lawless place, at times.
Vor 5 Jahren ist meine Mutter mit mir nach Chau Doc zurückgefahren. Sie konnte an den Ort zurückkehren, der für sie Freiheit, aber auch Angst bedeutete, denn wir waren nur knapp aus Kambodscha herausgekommen. Heute bin ich glücklich, sie Ihnen vorstellen zu können. Sie befindet sich hier unter uns im Publikum. Ich danke dir, Mutter.
Five years ago my mother and I went back to Chau Doc. And she was able to return to a place that for her meant freedom, but also fear, because we had just come out of Cambodia. I'm happy, actually, today, to present her. She's here today with us in the audience. Thank you mother.
(Applaus)
(Applause)