Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, eine ermutigende Geschichte, über den Umgang mit Verzweiflung, Depression und Hoffnungslosigkeit in Afghanistan, und was wir daraus gelernt haben: Wie man Menschen hilft, traumatische Erfahrungen zu überwinden, und wie man ihnen hilft, etwas Selbstvertrauen zurückzugewinnen für die vor ihnen liegende Zeit – für die Zukunft – und wie sie wieder am alltäglichen Leben teilnehmen können. Ich bin eine jungianische Psychoanalytikerin, und ich ging im Januar 2004 nach Afghanistan, zufällig, im Auftrag von Medica Mondiale. Jung in Afghanistan – Sie verstehen. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt, und 70 Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten. Krieg und Unterernährung töten Menschen genauso wie Hoffnung. Sie wissen das vielleicht aus den Medien. Was Sie aber vielleicht nicht wissen, ist, dass das Durchschnittsalter der Afghanen 17 Jahre beträgt. Das bedeutet, sie wachsen in so einer Umgebung auf und – ich wiederhole mich – in einem Krieg, der seit 30 Jahren andauert.
So I want to tell you a story -- an encouraging story -- about addressing desperation, depression and despair in Afghanistan, and what we have learned from it, and how to help people to overcome traumatic experiences and how to help them to regain some confidence in the time ahead -- in the future -- and how to participate again in everyday life. So, I am a Jungian psychoanalyst, and I went to Afghanistan in January 2004, by chance, on an assignment for Medica Mondiale. Jung in Afghanistan -- you get the picture. Afghanistan is one of the poorest countries in the world, and 70 percent of the people are illiterate. War and malnutrition kills people together with hope. You may know this from the media, but what you may not know is that the average age of the Afghan people is 17 years old, which means they grow up in such an environment and -- I repeat myself -- in 30 years of war.
Das spiegelt sich wieder in anhaltender Gewalt, ausländischen Interessen, Bestechung, Drogen, ethnischen Konflikten, schlechter Gesundheit, Scham, Angst, und kumulierten traumatischen Erfahrungen. Örtliches und ausländisches Militär sollen Frieden etablieren, gemeinsam mit den Geldgebern und den Regierungs- und Nicht-Regierungs-Organisationen. Und die Leute hatten Hoffnung, ja, bis sie feststellten, dass sich ihre Situation jeden Tag verschlimmert – entweder, weil sie umgebracht werden, oder weil sie, irgendwie, noch ärmer sind als vor acht Jahren. Dazu eine Zahl: 54 Prozent der Kinder unter fünf Jahren leiden an Unterernährung.
So this translates into ongoing violence, foreign interests, bribery, drugs, ethnic conflicts, bad health, shame, fear and cumulative traumatic experiences. Local and foreign military are supposed to build peace together with the donors and the governmental and non-governmental organizations. And people had hope, yes, but until they realized their situation worsens every day -- either because they are being killed or because, somehow, they are poorer than eight years ago. One figure for that: 54 percent of the children under the age of five years suffer from malnutrition.
Dennoch gibt es Hoffnung. Eines Tages erzählte mir ein Mann: »Meine Zukunft sieht nicht rosig aus, aber ich wünsche mir eine rosige Zukunft für meinen Sohn.« Dieses Foto habe ich 2005 gemacht, als ich an einem Freitag über die Hügel von Kabul wanderte. Für mich symbolisiert dieses Foto eine offenen Zukunft einer junge Generation.
Yet, there is hope. One day a man told me, "My future does not look brilliant, but I want to have a brilliant future for my son." This is a picture I took in 2005, walking on Fridays over the hills in Kabul, and for me it's a symbolic picture of an open future for a young generation.
Nun, Ärzte verschreiben Medikamente. Und Geldgeber sollen Frieden bringen durch Schul- und Straßenbau. Das Militär sammelt Waffen ein, und die wirtschaftliche Depression ist so wie zuvor. Warum? Weil die Menschen keine Möglichkeit haben, damit umzugehen, sie zu überwinden. Kurz nach meiner Ankunft fand ich etwas bestätigt, das ich schon wusste: dass meine Instrumente aus dem Herzen eines modernen Europas kommen, ja. Nichtsdestotrotz: Das, was uns verwunden kann, und unsere Reaktion auf diese Verwundung – das ist universell. Und die große Herausforderung bestand darin, einen Weg zu finden, wie die Bedeutung der Symptome in diesem spezifischen kulturellen Kontext zu verstehen ist. Nach einer Beratungssitzung sagte eine Frau zu mir: »Weil Sie mich gefühlt haben, kann ich mich wieder selbst fühlen, und ich möchte wieder teilhaben an meinem Familienleben.« Das war sehr wichtig, denn die Familie ist das Zentrum im afghanischen Sozialgefüge.
So, doctors prescribe medication. And donors are supposed to bring peace by building schools and roads. Military collect weapons, and depression stays intact. Why? Because people don't have tools to cope with it, to get over it. So, soon after my arrival, I had confirmed something which I had already known; that my instruments come from the heart of modern Europe, yes. However, what can wound us and our reaction to those wounds -- they are universal. And the big challenge was how to understand the meaning of the symptom in this specific cultural context. After a counseling session, a woman said to me, "Because you have felt me, I can feel myself again, and I want to participate again in my family life." This was very important, because the family is central in Afghans' social system.
Niemand kann alleine überleben. Und wenn Menschen sich benutzt, wertlos und beschämt fühlen, weil ihnen etwas Schreckliches zugestoßen ist, dann ziehen sie sich zurück und geraten in gesellschaftliche Isolation, und sie trauen sich nicht, dieses Übel anderen Menschen oder ihren Angehörigen zu erzählen, weil sie sie nicht belasten wollen. Sehr oft ist Gewalt eine Möglichkeit, damit umzugehen. Traumatisierte Menschen verlieren auch leicht die Kontrolle – Symptome wie Hypererregung und Erinnerungsflashbacks – die Menschen leben in beständiger Angst, dass diese schrecklichen Gefühle, die mit dem traumatischen Ereignis verbunden sind, unerwartet wieder zurückkommen könnten, plötzlich, und sie sie nicht kontrollieren können. Um diesen Verlust an innerer Kontrolle zu kompensieren, versuchen sie, die Außenwelt zu kontrollieren, verständlicherweise meistens die Familie, und unglücklicherweise entspricht dies alles genau der traditionellen Seite, der regressiven Seite, repressiven Seite, der restriktiven Seite des kulturellen Kontexts. So beginnen Ehemänner, ihre Frauen zu schlagen, Mütter und Väter schlagen ihre Kinder, und danach fühlen sie sich schrecklich. Sie wollten das nicht tun. Es ist einfach passiert. Sie haben die Kontrolle verloren. Die Verzweifelten versuchen, Ordnung und Normalität wieder herzustellen, und wenn wir es nicht schaffen, diesen Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen, wird er ohne Zweifel in die nächste Generation übertragen werden. Teilweise passiert das schon.
No one can survive alone. And if people feel used, worthless and ashamed, because something horrible has happened to them, then they retreat, and they fall into social isolation, and they do not dare to tell this evil to other people or to their loved ones, because they do not want to burden them. And very often violence is a way to cope with it. Traumatized people also easily lose control -- symptoms are hyper-arousal and memory flashbacks -- so people are in a constant fear that those horrible feelings of that traumatic event might come back unexpectedly, suddenly, and they cannot control it. To compensate this loss of inner control, they try to control the outside, very understandably -- mostly the family -- and unfortunately, this fits very well into the traditional side, regressive side, repressive side, restrictive side of the cultural context. So, husbands start beating wives, mothers and fathers beat their children, and afterward, they feel awful. They did not want to do this, it just happened -- they lost control. The desperate try to restore order and normality, and if we are not able to cut this circle of violence, it will be transferred to the next generation without a doubt. And partly this is already happening.
Jeder benötigt also ein Gefühl von Zukunft. Und das afghanische Gefühl von Zukunft ist erschüttert. Aber lassen Sie mich die Worte der Frau wiederholen. »Weil Sie mich gefühlt haben, kann ich mich wieder selbst fühlen.» Der Schlüssel hier ist als Mitgefühl. Jemand muss bezeugen, was Ihnen passiert ist. Jemand muss nachfühlen, wie Sie gefühlt haben. Und jemand muss Sie sehen und Ihnen zuhören. Jeder muss die Möglichkeit haben, zu wissen, dass das, was er oder sie erlebt hat, wahr ist. Und das geht nur mit einem anderen Menschen. Es muss also jeder die Möglichkeit haben zu sagen: »Dies ist mir passiert, und es hat dies mit mir gemacht, aber ich bin fähig, damit zu leben, damit umzugehen, und daraus zu lernen. Und ich möchte mich engagieren für eine glückliche Zukunft meiner Kinder, und der Kinder meiner Kinder, und ich werde meine 13-jährige Tochter nicht verheiraten« was in Afghanistan allzu oft passiert.
So everybody needs a sense for the future, and the Afghan sense of the future is shattered. But let me repeat the words of the woman. "Because you have felt me, I can feel myself again." So the key here is empathy. Somebody has to be a witness to what has happened to you. Somebody has to feel how you felt. And somebody has to see you and listen to you. Everybody must be able to know what he or she has experienced is true, and this only goes with another person. So everybody must be able to say, "This happened to me, and it did this with me, but I'm able to live with it, to cope with it, and to learn from it. And I want to engage myself in the bright future for my children and the children of my children, and I will not marry-off my 13 year-old daughter," -- what happens too often in Afghanistan.
Es kann also etwas unternommen werden, sogar unter solch extremen Umständen wie in Afghanistan. Ich begann über ein Beratungsprogramm nachzudenken. Aber natürlich brauchte ich Hilfe und Gelder. Eines Abends saß ich neben einem sehr netten Herrn in Kabul, und er fragte, was meiner Meinung nach gut für Afghanistan sei. Ich erklärte ihm schnell, dass ich psychosoziale Berater ausbilden würde; ich könnte Zentren eröffnen, und ich erklärte ihm warum. Am Ende des Abends gab mir dieser Mann seine Kontaktdaten und sagte: »Wenn Sie das machen wollen, rufen Sie mich an.« Zu jener Zeit war er der Chef von Caritas Deutschland.
So something can be done, even in such extreme environments as Afghanistan. And I started thinking about a counseling program. But, of course, I needed help and funds. And one evening, I was sitting next to a very nice gentleman in Kabul, and he asked what I thought would be good in Afghanistan. And I explained to him quickly, I would train psycho-social counselors, I would open centers, and I explained to him why. This man gave me his contact details at the end of the evening and said, "If you want to do this, call me." At that time, it was the head of Caritas Germany.
So war ich in der Lage, ein dreijähriges Projekt mit Caritas Deutschland zu starten, und wir bildeten 30 afghanische Frauen und Männer aus, und eröffneten 15 Beratungszentren in Kabul. Dies war unser Schild. Es ist handgemalt. Wir hatten 45 davon in ganz Kabul. 11.000 Menschen kamen – sogar mehr. Und 70 Prozent gewannen ihr Leben zurück. Das war eine sehr aufregende Zeit, das mit meinem wunderbaren afghanischen Team zu entwickeln. Und sie arbeiten bis heute mit mir. Wir entwickelten einen kultursensiblen, psychosozialen Beratungsansatz. Seit 2008 ist eine erheblicher Veränderung und ein Schritt nach vorn zu beobachten.
So, I was able to launch a three-year project with Caritas Germany, and we trained 30 Afghan women and men, and we opened 15 counseling centers in Kabul. This was our sign -- it's hand-painted, and we had 45 all over Kabul. Eleven thousand people came -- more than that. And 70 percent regained their lives. This was a very exciting time, developing this with my wonderful Afghan team. And they are working with me up to today. We developed a culturally-sensitive psycho-social counseling approach. So, from 2008 up until today, a substantial change and step forward has been taking place.
Die Delegation der Europäischen Union in Kabul hörte davon und stellte mich ein, um im Ministerium für Gesundheitswesen zu arbeiten, um diesen Ansatz zu verbreiten. Wir waren erfolgreich. Wir überarbeiteten den Aspekt der psychischen Gesundheit innerhalb der medizinischen Grundversorgung, indem wir psychosoziale Pflege und psychosoziale Beratung zum System hinzufügten. Natürlich bedeutete das, das gesamte Gesundheitspersonal umzuschulen. Aber dafür hatten wir schon die Trainingshandbücher, die vom Ministerium zugelassen waren, und darüber hinaus ist dieser Ansatz nun Teil der Strategie für psychische Gesundheit in Afghanistan.
The European Union delegation in Kabul came into this and hired me to work inside the Ministry of Public Health, to lobby this approach -- we succeeded. We revised the mental health component of the primary health care services by adding psycho-social care and psycho-social counselors to the system. This means, certainly, to retrain all health staff. But for that, we already have the training manuals, which are approved by the Ministry and moreover, this approach is now part of the mental health strategy in Afghanistan.
Wir haben es auch schon in einigen ausgewählten Kliniken in drei Provinzen eingeführt, und Sie sind die Ersten, die die Ergebnisse sehen. Wir wollten wissen, ob das, was getan wird, Wirkung zeigt. Und hier können Sie es sehen: Alle Patienten zeigten Symptome von Depression, leichte und starke. Die rote Linie zeigt die traditionelle Behandlung – Medikamente und einen Arzt. Alle Symptome blieben gleich oder verschlimmerten sich. Die grüne Linie symbolisiert Behandlung ausschließlich durch psychosoziale Beratung, ohne Medikamente. Und Sie sehen, die Symptome sind fast komplett verschwunden, und der psychosoziale Stress hat sich erheblich verringert, was man erklären kann, denn Sie können den psychosozialen Stress nicht wegnehmen, aber Sie können lernen, damit umzugehen. Das macht uns sehr glücklich, denn nun haben wir einige Beweise, dass das funktioniert.
So we also have implemented it already in some selected clinics in three provinces, and you are the first to see the results. We wanted to know if what is being done is effective. And here you can see the patients all had symptoms of depression, moderate and severe. And the red line is the treatment as usual -- medication with a medical doctor. And all the symptoms stayed the same or even got worse. And the green line is treatment with psycho-social counseling only, without medication. And you can see the symptoms almost completely go away, and the psycho-social stress has dropped significantly, which is explicable, because you cannot take away the psycho-social stresses, but you can learn how to cope with them. So this makes us very happy, because now we also have some evidence that this is working.
Hie sehen Sie eine Gesundheitseinrichtung in Nordafghanistan. Jeden Morgen sieht es überall so wie hier aus. Ärzte haben normalerweise drei bis sechs Minuten für ihre Patienten. Das wird sich von nun an ändern. Sie gehen in die Kliniken, weil sie ihre akuten Symptome heilen lassen wollen, und sie werden jemanden finden, mit dem sie reden können, mit dem sie diese Themen diskutieren können. Sie können darüber reden, was sie belastet, und Lösungen zu finden, Ressourcen entwickeln, Methoden erlernen, um Familienkonflikte zu lösen, und Vertrauen in die Zukunft gewinnen.
So here you see, this is a health facility in Northern Afghanistan, and every morning it looks like this all over. And doctors usually have three to six minutes for the patients, but now this will change. They go to the clinics, because they want to cure their immediate symptoms, and they will find somebody to talk to and discuss these issues and talk about what is burdening them and find solutions, develop their resources, learn tools to solve their family conflicts and gain some confidence in the future.
Und ich möchte gerne eine kurze Geschichte mit Ihnen teilen. Ein Hazara sagte zu seinem Berater aus Paschtun: »Wenn wir uns vor ein paar Jahren getroffen hätten, hätten wir einander umgebracht. Und nun hilfst du mir, um ein Vertrauen in die Zukunft zurückzugewinnen.« Und ein anderer Berater sagte mir nach dem Training: »Wissen Sie, ich habe nie verstanden, warum ich die Morde in meinem Dorf überlebte, and nun weiß ich es; ich bin ein Teil des Keims einer neuen, friedlichen Gesellschaft in Afghanistan.« Ich glaube, das alles hat mir Energie gegeben. Und dies ist wirklich ein emanzipatorischer und politischer Beitrag zu Frieden und Versöhnung. Und ich glaube auch, ohne psychosoziale Therapie und ohne ihre Berücksichtigung in allen humanitären Projekten, können wir keine Zivilgesellschaften aufbauen.
And I would like to share one short vignette. One Hazara said to his Pashtun counselor, "If we were to have met some years ago, then we would have killed each other. And now you are helping me to regain some confidence in the future." And another counselor said to me after the training, "You know, I never knew why I survived the killings in my village, but now I know, because I am part of a nucleus of a new peaceful society in Afghanistan." So I believe this kept me running. And this is a really emancipatory and political contribution to peace and reconciliation. And also -- I think -- without psycho-social therapy, and without considering this in all humanitarian projects, we cannot build-up civil societies.
Ich dachte, dies ist eine Idee, die es wert ist, verbreitet zu werden. Ich finde, sie muss, kann und sollte an anderen Orten kopiert werden.
I thought it was an idea worth spreading, and I think it must be, can be, could be replicated elsewhere.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
I thank you for your attention.
(Applaus)
(Applause)