"Können Sie Worte schmecken?"
"Can you taste words?"
Diese Frage traf mich wie ein Blitz. Diesen Sommer hielt ich eine Rede bei einem Literaturfestival mit anschließender Signierstunde, wo mir diese Frage von einer Teenagerin und ihrer Freundin gestellt wurde. Ich erklärte ihr, dass manche Menschen Sinnesüberschneidungen erleben, sodass sie Farben hören oder Klänge sehen könnten, und dass viele Schriftsteller, wie ich, von diesem Thema fasziniert seien. Doch sie unterbrach mich ungeduldig und sagte: "Das weiß ich alles. Das nennt sich Synästhesie. Wir haben darüber in der Schule gelernt. Aber meine Mutter liest Ihr Buch und sie hat mir erzählt, dass darin viele Speisen, Zutaten und eine lange Abendessenszene vorkommen. Da bekommt sie immer Hunger. Darum dachte ich mir: Wieso bekommen Sie beim Schreiben keinen Hunger? Und dann dachte ich: Vielleicht können Sie Wörter schmecken. Macht das Sinn?"
It was a question that caught me by surprise. This summer, I was giving a talk at a literary festival, and afterwards, as I was signing books, a teenage girl came with her friend, and this is what she asked me. I told her that some people experience an overlap in their senses so that they could hear colors or see sounds, and many writers were fascinated by this subject, myself included. But she cut me off, a bit impatiently, and said, "Yeah, I know all of that. It's called synesthesia. We learned it at school. But my mom is reading your book, and she says there's lots of food and ingredients and a long dinner scene in it. She gets hungry at every page. So I was thinking, how come you don't get hungry when you write? And I thought maybe, maybe you could taste words. Does it make sense?"
Tatsächlich tat es das, denn seit meiner Kindheit hat jeder Buchstabe im Alphabet eine andere Farbe für mich und Farben lassen mich Aromen schmecken. So ist Violett für mich sehr würzig, beinahe duftend, und jedes Wort, das ich mit Violett assoziiere, schmeckt gleich, wie "Sonnenuntergang", ein sehr aromatisches Wort. Aber ich hatte Bedenken, dass all dies für einen Teenager entweder zu abstrakt oder zu eigenartig klingen würde. Ohnehin war nicht genug Zeit, weil andere Menschen in der Schlange warteten. Ich dachte plötzlich, dass das, was ich sagen wollte, komplizierter und vielschichtiger war, als mir die Umstände erlaubten, in Worte zu fassen. Und so tat ich, was ich in solchen Situationen immer tue: Ich stotterte, schaltete ab, verstummte. Ich verstummte, weil die Wahrheit kompliziert war, obwohl ich tief in mir wusste, dass wir niemals aus Angst vor Vielschichtigkeit verstummen sollten.
And, actually, it did make sense, because ever since my childhood, each letter in the alphabet has a different color, and colors bring me flavors. So for instance, the color purple is quite pungent, almost perfumed, and any words that I associate with purple taste the same way, such as "sunset" -- a very spicy word. But I was worried that if I tell all of this to the teenager, it might sound either too abstract or perhaps too weird, and there wasn't enough time anyhow, because people were waiting in the queue, so it suddenly felt like what I was trying to convey was more complicated and detailed than what the circumstances allowed me to say. And I did what I usually do in similar situations: I stammered, I shut down, and I stopped talking. I stopped talking because the truth was complicated, even though I knew, deep within, that one should never, ever remain silent for fear of complexity.
Darum möchte ich meine Rede heute mit der Antwort beginnen, die ich an jenem Tag nicht geben konnte. Ja, ich kann Worte schmecken -- manchmal, nicht immer -- und glückliche Worte schmecken anders als traurige. Ich würde gerne probieren, wonach die Wörter "Kreativität" oder "Gleichberechtigung", "Liebe" oder "Revolution" schmecken,
So I want to start my talk today with the answer that I was not able to give on that day. Yes, I can taste words -- sometimes, that is, not always, and happy words have a different flavor than sad words. I like to explore: What does the word "creativity" taste like, or "equality," "love," "revolution?"
oder "Vaterland". Vor allem dieses letzte Wort bereitet mir im Moment Kopfzerbrechen. Es hinterlässt einen süßen Geschmack in meinem Mund, ähnlich dem von Zimt, etwas Rosenwasser und goldene Äpfel. Darunter jedoch liegt ein scharfer Beigeschmack, ähnlich dem von Brennnesseln und Löwenzahn. Der Geschmack der Türkei, meines Vaterlandes, ist ein süß-saurer Cocktail.
And what about "motherland?" These days, it's particularly this last word that troubles me. It leaves a sweet taste on my tongue, like cinnamon, a bit of rose water and golden apples. But underneath, there's a sharp tang, like nettles and dandelion. The taste of my motherland, Turkey, is a mixture of sweet and bitter.
Ich erzähle Ihnen das, weil ich glaube, dass heute immer mehr Menschen auf der ganzen Welt ähnlich gemischte Gefühle haben, wenn sie an ihre Heimatländer denken. Wir lieben unsere Heimatländer, richtig? Wieso auch nicht? Wir fühlen uns mit den Leuten, der Kultur, dem Land und dem Essen verbunden. Gleichzeitig jedoch sind wir zunehmend frustriert von seiner politischen Führung, manchmal bis zur Verzweiflung, zum Schmerz, zur Wut. Ich möchte über Gefühle sprechen und das dringende Bedürfnis,
And the reason why I'm telling you this is because I think there's more and more people all around the world today who have similarly mixed emotions about the lands they come from. We love our native countries, yeah? How can we not? We feel attached to the people, the culture, the land, the food. And yet at the same time, we feel increasingly frustrated by its politics and politicians, sometimes to the point of despair or hurt or anger. I want to talk about emotions
unsere emotionale Intelligenz zu steigern. Ich finde es bedauernswert, dass die politischen Hauptlager Emotionen nur sehr wenig Aufmerksamkeit schenken. Häufig sind Analytiker und Experten so beschäftigt mit Daten und Kennzahlen, dass sie scheinbar jene Dinge im Leben vergessen, die nur schwer messbar sind und womöglich nicht in Zahlen dargestellt werden können. Aber ich halte das für einen Fehler, und zwar aus zwei Gründen: Erstens, weil wir emotionale Wesen sind. Als Menschen sind wir da alle gleich. Zweitens, und das ist neu, befinden wir uns an einem Punkt in der Weltgeschichte, an dem das kollektive Gemüt die Politik mehr als je zuvor sowohl positiv als auch negativ beeinflussen kann. Sowohl durch soziale Medien als auch soziale Netzwerke werden diese Empfindungen weiter verstärkt, polarisiert und verbreiten sich auf der ganzen Welt wie ein Lauffeuer. Wir befinden uns im Zeitalter von Furcht, Zorn, Misstrauen, Feindseligkeit und jeder Menge Angst. Das Problem ist: Obwohl es viele Studien zu wirtschaftlichen Faktoren gibt, wurden emotionale Faktoren bisher nur bedingt untersucht.
and the need to boost our emotional intelligence. I think it's a pity that mainstream political theory pays very little attention to emotions. Oftentimes, analysts and experts are so busy with data and metrics that they seem to forget those things in life that are difficult to measure and perhaps impossible to cluster under statistical models. But I think this is a mistake, for two main reasons. Firstly, because we are emotional beings. As human beings, I think we all are like that. But secondly, and this is new, we have entered a new stage in world history in which collective sentiments guide and misguide politics more than ever before. And through social media and social networking, these sentiments are further amplified, polarized, and they travel around the world quite fast. Ours is the age of anxiety, anger, distrust, resentment and, I think, lots of fear. But here's the thing: even though there's plenty of research about economic factors, there's relatively few studies about emotional factors.
Warum werden Gefühle und Wahrnehmung derart unterschätzt? Ich denke, dies wird eine unserer größten intellektuellen Herausforderungen, vor allem, weil unsere politischen Systeme mit Emotionen vollgestopft sind. Weltweit konnten wir beobachten, wie intolerante Politiker diese Emotionen ausnutzen. Und dennoch nehmen wir sie in akademischen Kreisen immer noch nicht so ernst, wie wir sollten. Es wird Zeit, dass wir dies tun. So wie wir wirtschaftliche Ungleichheit weltweit bekämpfen müssen, müssen wir emotionale und kognitive Unterschiede weltweit mehr beachten und versuchen, sie auszugleichen, denn auch sie sind wichtig.
Why is it that we underestimate feelings and perceptions? I think it's going to be one of our biggest intellectual challenges, because our political systems are replete with emotions. In country after country, we have seen illiberal politicians exploiting these emotions. And yet within the academia and among the intelligentsia, we are yet to take emotions seriously. I think we should. And just like we should focus on economic inequality worldwide, we need to pay more attention to emotional and cognitive gaps worldwide and how to bridge these gaps, because they do matter.
Als ich noch in Istanbul lebte, besuchte mich eine amerikanische Stipendiatin, die sich mit Autorinnen aus dem nahen Osten befasste. In unserem Gespräch meinte sie: "Ich verstehe, warum Sie als Türkin Feministin sind." Ich sagte zu ihr: "Ich verstehe nicht, warum Sie als Amerikanerin keine Feministin sind."
Years ago, when I was still living in Istanbul, an American scholar working on women writers in the Middle East came to see me. And at some point in our exchange, she said, "I understand why you're a feminist, because, you know, you live in Turkey." And I said to her, "I don't understand why you're not a feminist, because, you know, you live in America."
(Gelächter)
(Laughter)
(Applaus) Sie lachte. Sie hielt es für einen Scherz und der Moment ging vorüber.
(Applause) And she laughed. She took it as a joke, and the moment passed.
(Gelächter)
(Laughter)
Die Art und Weise jedoch, auf die sie die Welt in zwei imaginäre Lager, zwei gegensätzliche Lager geteilt hatte, störte mich und ließ mich nicht mehr los. Glaubt man dieser imaginären Karte, waren einige Teile unserer Welt instabile Länder. Sie waren wie unstete Gewässer, die sich noch setzten mussten. Andere Teile der Welt wiederum, oder auch "der Westen", wurden als solide, sicher und stabil angesehen. Daher waren es die instabilen Länder, die Feminismus, Aktivismus und Menschenrechte notwendig hatten. Und all jene, die das Unglück hatten, aus so einem Land zu kommen, mussten weiter um diese grundlegenden Werte kämpfen. Doch es gab Hoffnung. Der Lauf der Zeit sollte eines Tages selbst den instabilsten Ländern erlauben, sich zu festigen. In der Zwischenzeit konnten die Bewohner stabiler Länder sich am Lauf der Geschichte und dem Sieg des Liberalismus erfreuen. Sie waren in der Lage, andere in ihrem Streben zu unterstützen, doch sie selbst brauchten nicht mehr für demokratische Grundwerte zu kämpfen, weil sie diese Etappe bewältigt hatten.
But the way she had divided the world into two imaginary camps, into two opposite camps -- it bothered me and it stayed with me. According to this imaginary map, some parts of the world were liquid countries. They were like choppy waters not yet settled. Some other parts of the world, namely the West, were solid, safe and stable. So it was the liquid lands that needed feminism and activism and human rights, and those of us who were unfortunate enough to come from such places had to keep struggling for these most essential values. But there was hope. Since history moved forward, even the most unsteady lands would someday catch up. And meanwhile, the citizens of solid lands could take comfort in the progress of history and in the triumph of the liberal order. They could support the struggles of other people elsewhere, but they themselves did not have to struggle for the basics of democracy anymore, because they were beyond that stage.
Ich denke, dass im Jahr 2016 diese hierarchische Weltanschauung in Abertausende Stücke zerbrochen ist. Unsere Welt kann nicht länger in zwei verschiedene Lager geteilt werden, wie es die Gelehrten gerne hätten -- falls es überhaupt je so war. Heute wissen wir, dass die Geschichte nicht immer geradeaus verläuft. Manchmal verläuft sie im Kreis oder macht sogar einige Schritte zurück, und spätere Generationen können die gleichen Fehler machen, die deren Urgroßväter damals schon gemacht hatten. Wir wissen nun auch, dass es weder stabile noch instabile Länder gibt. Tatsächlich leben wir alle in instabilen Zeiten, wie der kürzlich verstorbene Zygmunt Bauman so treffend bemerkte. Bauman charakterisierte unsere Zeit noch weiter: Er meinte, dass wir alle wie auf Treibsand wandern werden.
I think in the year 2016, this hierarchical geography was shattered to pieces. Our world no longer follows this dualistic pattern in the scholar's mind, if it ever did. Now we know that history does not necessarily move forward. Sometimes it draws circles, even slides backwards, and that generations can make the same mistakes that their great-grandfathers had made. And now we know that there's no such thing as solid countries versus liquid countries. In fact, we are all living in liquid times, just like the late Zygmunt Bauman told us. And Bauman had another definition for our age. He used to say we are all going to be walking on moving sands.
Sollte dies der Fall sein, glaube ich, dass wir Frauen uns mehr als Männer sorgen müssen, denn immer wenn eine Gesellschaft zurück in den Autoritarismus, Nationalismus oder religiösen Fanatismus rutscht, haben Frauen wesentlich mehr zu verlieren. Darum muss dieser Moment nicht nur zum Moment des globalen Aktivismus, sondern auch zum Moment der globalen Schwesternschaft werden.
And if that's the case, I think, it should concern us women more than men, because when societies slide backwards into authoritarianism, nationalism or religious fanaticism, women have much more to lose. That is why this needs to be a vital moment, not only for global activism, but in my opinion, for global sisterhood as well.
(Applaus)
(Applause)
Ich möchte etwas gestehen, bevor ich mit meinem Vortrag fortfahre. Bei jeder Konferenz, bei jedem Festival, an dem ich bis kürzlich teilnahm, war ich in den meisten Fällen eine der pessimistischsten Rednerinnen.
But I want to make a little confession before I go any further. Until recently, whenever I took part in an international conference or festival, I would be usually one of the more depressed speakers.
(Gelächter)
(Laughter)
Nachdem ich gesehen hatte, wie unser Traum von Demokratie und Gemeinschaft in der Türkei zerschmettert wurde -- schrittweise und dennoch schnell wie der Blitz -- fühlte ich mich über die Jahre ziemlich entmutigt. Auf diesen Veranstaltungen traf ich auf andere verdrossene Autoren, die aus Ländern wie Ägypten, Nigeria, Pakistan, Bangladesch, den Philippinen, China, Venezuela oder Russland kamen. Wir lächelten einander zu -- der Verein der Verdammten.
Having seen how our dreams of democracy and how our dreams of coexistence were crushed in Turkey, both gradually but also with a bewildering speed, over the years I've felt quite demoralized. And at these festivals there would be some other gloomy writers, and they would come from places such as Egypt, Nigeria, Pakistan, Bangladesh, Philippines, China, Venezuela, Russia. And we would smile at each other in sympathy, this camaraderie of the doomed.
(Gelächter)
(Laughter)
Wir hätten einen Club namens "IKBDA" gründen können: Internationaler Klub Besorgter und Depressiver Autoren.
And you could call us WADWIC: Worried and Depressed Writers International Club.
(Gelächter)
(Laughter)
Doch das Blatt begann sich zu wenden; plötzlich wurde unser Klub bekannter und bekam Zuwachs. Ich weiß noch --
But then things began to change, and suddenly our club became more popular, and we started to have new members. I remember --
(Gelächter)
(Laughter)
Ich weiß noch, unsere ersten neuen Mitglieder waren Autoren und Dichter aus Griechenland. Die nächsten waren Autoren aus Ungarn und Polen, gefolgt von Autoren aus Österreich, den Niederlanden, Frankreich, wiederum gefolgt von Autoren aus meiner Heimat Großbritannien sowie Autoren aus den USA. Auf einmal waren wir viel mehr, die sich um die Zukunft unserer Nationen und die unserer Welt sorgten. Und vielleicht sind wir nun auch mehr, die sich fremd in ihrem eigenen Heimatland fühlen.
I remember Greek writers and poets joined first, came on board. And then writers from Hungary and Poland, and then, interestingly, writers from Austria, the Netherlands, France, and then writers from the UK, where I live and where I call my home, and then writers from the USA. Suddenly, there were more of us feeling worried about the fate of our nations and the future of the world. And maybe there were more of us now feeling like strangers in our own motherlands.
Plötzlich geschah etwas Eigenartiges: Jene von uns, die sich für so lange Zeit so entmutigt fühlten, waren es auf einmal etwas weniger, während unsere neuen Mitglieder es nicht gewohnt waren, so zu fühlen, und somit mehr entmutigt wurden.
And then this bizarre thing happened. Those of us who used to be very depressed for a long time, we started to feel less depressed, whereas the newcomers, they were so not used to feeling this way that they were now even more depressed.
(Gelächter)
(Laughter)
Am Ende waren es die Autoren aus Bangladesh, der Türkei oder Ägypten, die ihren Kollegen aus Großbritannien oder den USA nach dem Brexit-Votum oder der Wahl des US-Präsidenten Trost zusprachen.
So you could see writers from Bangladesh or Turkey or Egypt trying to console their colleagues from Brexit Britain or from post-election USA.
(Gelächter).
(Laughter)
Aber Spaß beiseite, ich denke, unsere Welt ist voll von nie dagewesenen Herausforderungen, die sich wiederum auf unsere emotionale Wahrnehmung auswirken. Denn wo Veränderung stetig zulegt, möchten viele Menschen zurückschalten. Wenn sie mit zu viel Fremdem konfrontiert werden, suchen Menschen das Vertraute. Und wenn die Dinge zu unübersichtlich werden, sehnen sich viele Menschen nach Klarheit. Diese Zwiespältigkeit ist sehr gefährlich, denn genau hier treten Hassprediger ins Bild.
But joking aside, I think our world is full of unprecedented challenges, and this comes with an emotional backlash, because in the face of high-speed change, many people wish to slow down, and when there's too much unfamiliarity, people long for the familiar. And when things get too confusing, many people crave simplicity. This is a very dangerous crossroads, because it's exactly where the demagogue enters into the picture.
Der Hassprediger versteht, wie das kollektive Gemüt funktioniert und wie er -- meistens ist es ein er -- davon profitieren kann. Er ist es, der uns sagt, wir gehören verschiedenen Völkern an, und er sagt uns, wir seien unter unseresgleichen sicherer. Hassprediger kommen in allen Formen und Farben. Es könnte der exzentrische Anführer einer politischen Kleinpartei irgendwo in Europa sein, oder ein islamistischer Imam, der Dogma und Hass predigt, oder ein rassistischer Redner, der Nazis bewundert. All diese Gestalten sind auf den ersten Blick nicht miteinander verbunden, doch ich glaube, dass sie einander hegen und pflegen.
The demagogue understands how collective sentiments work and how he -- it's usually a he -- can benefit from them. He tells us that we all belong in our tribes, and he tells us that we will be safer if we are surrounded by sameness. Demagogues come in all sizes and in all shapes. This could be the eccentric leader of a marginal political party somewhere in Europe, or an Islamist extremist imam preaching dogma and hatred, or it could be a white supremacist Nazi-admiring orator somewhere else. All these figures, at first glance -- they seem disconnected. But I think they feed each other, and they need each other.
Wo wir auch hinsehen, haben Hassprediger in ihrer Art zu sprechen und die Massen zu bewegen eines miteinander gemein: Sie haben eine sehr starke Abneigung gegen Vielfalt. Sie können nicht mit Vielseitigkeit umgehen. Adorno sagte einmal: "Intoleranz gegenüber Ambiguität gehört zu den Kennzeichen eines autoritären Charakters." Ich frage mich jedoch: Was, wenn dasselbe Kennzeichen, dieselbe Intoleranz gegenüber Ambiguität, was, wenn es das Kennzeichen der Zeit ist, in dem wir leben? Wo immer ich auch hinsehe, sehe ich Nuancen verschwinden. Im Fernsehen haben wir einen Für- und einen Gegensprecher für jede Seite. Das bringt gute Quoten. Noch bessere, wenn sie miteinander streiten. Sogar an den Universitäten, wo unser Geist genährt werden soll, sehen wir, wie ein atheistischer mit einem gläubigen Gelehrten konkurriert. Das ist aber kein wirklicher intellektueller Austausch, sondern ein Aufeinanderprallen von zwei Überzeugungen.
And all around the world, when we look at how demagogues talk and how they inspire movements, I think they have one unmistakable quality in common: they strongly, strongly dislike plurality. They cannot deal with multiplicity. Adorno used to say, "Intolerance of ambiguity is the sign of an authoritarian personality." But I ask myself: What if that same sign, that same intolerance of ambiguity -- what if it's the mark of our times, of the age we're living in? Because wherever I look, I see nuances withering away. On TV shows, we have one anti-something speaker situated against a pro-something speaker. Yeah? It's good ratings. It's even better if they shout at each other. Even in academia, where our intellect is supposed to be nourished, you see one atheist scholar competing with a firmly theist scholar, but it's not a real intellectual exchange, because it's a clash between two certainties.
Ich bin überzeugt, dass Kontraste überall zu finden sind. So wird uns langsam und gezielt das Recht auf Vielschichtigkeit verwehrt. Istanbul, Berlin, Nizza, Paris, Brüssel, Dhaka, Bagdad, Barcelona: Wir haben einen Terroranschlag nach dem anderen miterlebt. Wenn wir unsere Trauer bekunden und gegen diese Grausamkeit aufbegehren, sehen wir in den sozialen Medien alle möglichen Reaktionen und Kommentare. Eine davon ist sehr beunruhigend, vor allem, weil sie so häufig ist.
I think binary oppositions are everywhere. So slowly and systematically, we are being denied the right to be complex. Istanbul, Berlin, Nice, Paris, Brussels, Dhaka, Baghdad, Barcelona: we have seen one horrible terror attack after another. And when you express your sorrow, and when you react against the cruelty, you get all kinds of reactions, messages on social media. But one of them is quite disturbing, only because it's so widespread.
Sie lautet wie folgt: "Warum hast du Mitleid mit ihnen? Warum hast du mit Mitleid ihnen, und nicht mit den Menschen in Yemen oder den Menschen in Syrien?"
They say, "Why do you feel sorry for them? Why do you feel sorry for them? Why don't you feel sorry for civilians in Yemen or civilians in Syria?"
Ich glaube, die Verfasser dieser Nachrichten verstehen nicht, dass wir gleichzeitig unsere Trauer wie auch unsere Solidarität für die Opfer von Terrorismus und Gewalt im Nahen Osten, in Europa, in Asien, in Amerika bekunden können. Egal wo, überall, gleichwertig und gleichzeitig. Sie scheinen nicht zu verstehen, dass wir weder einen Schmerz noch einen Ort über einen anderen stellen müssen. Dieses Denken ist das Ergebnis von modernem Tribalismus. Zum einen vernebelt er unseren Geist, aber er versteinert auch unsere Herzen, bis uns das Leiden anderer komplett kalt lässt.
And I think the people who write such messages do not understand that we can feel sorry for and stand in solidarity with victims of terrorism and violence in the Middle East, in Europe, in Asia, in America, wherever, everywhere, equally and simultaneously. They don't seem to understand that we don't have to pick one pain and one place over all others. But I think this is what tribalism does to us. It shrinks our minds, for sure, but it also shrinks our hearts, to such an extent that we become numb to the suffering of other people.
Die traurige Wahrheit ist, dass wir nicht immer so waren. Vor einiger Zeit verfasste ich ein Kinderbuch in der Türkei, und als es herauskam, organisierte ich viele Veranstaltungen. Ich besuchte viele Grundschulen und kam mit vielen kleineren Kindern in der Türkei in Kontakt. Ich fand es immer bewundernswert, über wie viel Mitgefühl, Vorstellungskraft und Chuzpe diese Kinder verfügen. Mit so einer Denkweise in dem Alter werden aus diesen Kindern viel eher Weltbürger als Nationalisten. Es ist so schön, zu erfahren, wie viele von ihnen Dichter und Autoren werden wollen, und dass Mädchen genauso selbstbewusst oder sogar selbstbewusster als Jungen sind.
And the sad truth is, we weren't always like this. I had a children's book out in Turkey, and when the book was published, I did lots of events. I went to many primary schools, which gave me a chance to observe younger kids in Turkey. And it was always amazing to see how much empathy, imagination and chutzpah they have. These children are much more inclined to become global citizens than nationalists at that age. And it's wonderful to see, when you ask them, so many of them want to be poets and writers, and girls are just as confident as boys, if not even more.
In der nächsten Schulstufe jedoch sieht alles ganz anders aus. Keiner möchte mehr Autor oder Schriftsteller werden, und Mädchen sind jetzt schüchtern, zurückhaltend und vorsichtig. Sie würden nur widerwillig in der Öffentlichkeit das Wort ergreifen, weil man ihnen beigebracht hat -- in der Familie, Schule, Gesellschaft -- man hat ihnen beigebracht, ihre Einzigartigkeit zu eliminieren.
But then I would go to high schools, and everything has changed. Now nobody wants to be a writer anymore, now nobody wants to be a novelist anymore, and girls have become timid, they are cautious, guarded, reluctant to speak up in the public space, because we have taught them -- the family, the school, the society -- we have taught them to erase their individuality.
Wir scheinen im Osten ebenso wie im Westen unsere Vielfalt zu verlieren; in unserer Gesellschaft, aber auch in uns selbst. Als geborene Türkin weiß ich, dass der Verlust von Vielfalt einer der größtmöglichen Verluste ist. Heute ist mein Vaterland Rekordhalter für die meisten eingesperrten Journalisten und entthront damit China von seinen traurigen ersten Platz. Ich bin außerdem der Meinung, dass das, was in der Türkei passiert ist, überall passieren kann. Sogar hier. So wie die Vorstellung von stabilen Ländern eine Illusion war, ist auch die Vorstellung einer einseitigen Identität eine Illusion, den wir alle haben eine Vielzahl von Stimmen in uns. Der persische Dichter Hafis sagte einmal: "Alle Zutaten, die du brauchst, um deine Existenz in Freude zu verwandeln, trägst du in dir. Du musst diese Zutaten nur noch miteinander vermischen."
I think East and West, we are losing multiplicity, both within our societies and within ourselves. And coming from Turkey, I do know that the loss of diversity is a major, major loss. Today, my motherland became the world's biggest jailer for journalists, surpassing even China's sad record. And I also believe that what happened over there in Turkey can happen anywhere. It can even happen here. So just like solid countries was an illusion, singular identities is also an illusion, because we all have a multiplicity of voices inside. The Iranian, the Persian poet, Hafiz, used to say, "You carry in your soul every ingredient necessary to turn your existence into joy. All you have to do is to mix those ingredients."
Ich denke, das schaffen wir. Obwohl ich zuerst Istanbulerin bin, fühle ich mich auch mit dem Balkan, genauso wie mit der Ägäis, dem Mittelmeerraum, dem Nahen Osten, der Levante verbunden. Ich bin geborene sowie Wahleuropäerin, aufgrund der Werte, nach denen ich lebe. Im Laufe der Jahre wurde ich zur Londonerin. Ich habe eine internationale Seele, bin eine Weltbürgerin, Nomadin, und reisende Geschichtenerzählerin. Wie wir alle habe ich mehr als eine Zugehörigkeit. Mehrere Zugehörigkeiten bedeuten mehrere Geschichten.
And I think mix we can. I am an Istanbulite, but I'm also attached to the Balkans, the Aegean, the Mediterranean, the Middle East, the Levant. I am a European by birth, by choice, the values that I uphold. I have become a Londoner over the years. I would like to think of myself as a global soul, as a world citizen, a nomad and an itinerant storyteller. I have multiple attachments, just like all of us do. And multiple attachments mean multiple stories.
Als Autoren sind wir andauernd auf der Suche nach Geschichten, aber wir beschäftigen uns auch mit dem Schweigen, mit Dingen, über die wir nicht reden können: politische, aber auch kulturelle Tabus. Wir beschäftigen uns auch mit unserem eigenen Schweigen. Ich habe mich seit jeher, schriftlich sowie mündlich, lautstark für die Rechte von Minderheiten, Frauen und der LGBT-Gemeinschaft ausgesprochen. Während ich jedoch über diesen TED Talk nachdachte, wurde mir eines klar: Ich hatte nie den Mut, mich öffentlich zu meiner Bisexualität zu bekennen, weil ich die Beleidigungen, das Stigma, den Hohn und den Hass fürchtete, der auf mein Bekenntnis folgen würde. In keinem Fall jedoch dürfen wir aus Angst vor Vielschichtigkeit stumm bleiben.
As writers, we always chase stories, of course, but I think we are also interested in silences, the things we cannot talk about, political taboos, cultural taboos. We're also interested in our own silences. I have always been very vocal about and written extensively about minority rights, women's rights, LGBT rights. But as I was thinking about this TED Talk, I realized one thing: I have never had the courage to say in a public space that I was bisexual myself, because I so feared the slander and the stigma and the ridicule and the hatred that was sure to follow. But of course, one should never, ever, remain silent for fear of complexity.
(Applaus)
(Applause)
Obwohl ich mich mit Ängsten auskenne und hier über die Macht von Emotionen spreche -- ich bin mir ihrer Macht bewusst -- habe ich über die Zeit herausgefunden, dass Emotionen nicht ohne Limit sind. Auch sie haben Grenzen. Es kommt der Moment -- eine Art Wendepunkt oder Schwelle --, wo wir es leid sind, uns zu fürchten, wo wir es leid sind, uns zu sorgen. Ich denke, nicht nur Einzelpersonen, sondern auch ganze Nationen können diesen Wendepunkt erreichen. Stärker noch als meine Emotionen ist deshalb mein Bewusstsein, dass nicht nur Geschlecht und Identität, sondern auch das Leben an sich instabil ist. Sie wollen uns in Völker aufspalten, aber wir sind über Landesgrenzen hinweg verbunden. Sie versprechen uns Klarheit, aber wir wissen, dass das Leben magisch und voll von Zweideutigkeit ist. Sie genießen es, Zwiespältigkeit zu säen, aber wir sind viel zu vielschichtig dafür.
And although I am no stranger to anxieties, and although I am talking here about the power of emotions -- I do know the power of emotions -- I have discovered over time that emotions are not limitless. You know? They have a limit. There comes a moment -- it's like a tipping point or a threshold -- when you get tired of feeling afraid, when you get tired of feeling anxious. And I think not only individuals, but perhaps nations, too, have their own tipping points. So even stronger than my emotions is my awareness that not only gender, not only identity, but life itself is fluid. They want to divide us into tribes, but we are connected across borders. They preach certainty, but we know that life has plenty of magic and plenty of ambiguity. And they like to incite dualities, but we are far more nuanced than that.
Was können wir also tun? Ich denke, dass wir zum Ursprung, zu den Farben des Alphabets zurückkehren müssen. Der libanesische Dichter Khalil Gibran sagte einmal: "Ich lernte das Schweigen von den Geschwätzigen, Toleranz von den Engstirnigen, und Güte von denen, die hart im Herzen sind." Ich halte dies für ein großartiges Motto für unsere Zeit.
So what can we do? I think we need to go back to the basics, back to the colors of the alphabet. The Lebanese poet Khalil Gibran used to say, "I learned silence from the talkative and tolerance from the intolerant and kindness from the unkind." I think it's a great motto for our times.
Wir lernen also von populistischen Hassrednern über die Unverzichtbarkeit von Demokratie, von Isolationisten über die Notwendigkeit von globaler Solidarität, und von Tribalisten lernen wir über die Schönheit von Weltbürgertum und Vielfalt.
So from populist demagogues, we will learn the indispensability of democracy. And from isolationists, we will learn the need for global solidarity. And from tribalists, we will learn the beauty of cosmopolitanism and the beauty of diversity.
Ich möchte Ihnen zum Abschluss ein Wort, einen Geschmack auf den Weg mitgeben. "Yurt" ist das türkische Wort für "Vaterland". Es bedeutet "Heimatland". Interessanterweise steht es aber auch für: "ein von Nomadenstämmen verwendetes Zelt". Mir gefällt diese Zweideutigkeit, denn sie lässt mich glauben, dass Heimatländer nicht an einem Ort verwurzelt sein müssen. Sie sind tragbar. Wir können sie überallhin mitnehmen. Letztendlich haben wohl Autoren und Geschichtenerzähler ein und dasselbe Heimatland. Es heißt "Geschichtenland". Und der Geschmack dieses Wortes, ist der Geschmack von Freiheit.
As I finish, I want to leave you with one word, or one taste. The word "yurt" in Turkish means "motherland." It means "homeland." But interestingly, the word also means "a tent used by nomadic tribes." And I like that combination, because it makes me think homelands do not need to be rooted in one place. They can be portable. We can take them with us everywhere. And I think for writers, for storytellers, at the end of the day, there is one main homeland, and it's called "Storyland." And the taste of that word is the taste of freedom.
Vielen Dank.
Thank you.
(Applaus)
(Applause)